Wenn mir jemand nach 2008 gesagt hätte, dass ich einen Blog-Beitrag zum Thema „Buchführungsprivileg“ der Steuerberater/innen schreiben würde, hätte ich dies weit von mir gewiesen. Was habe ich noch mit diesem Thema zu tun, dass mir viele Jahre als Lobbyistin fast nur Frust bereitet hat? In den letzten Wochen und Monaten stelle ich leider fest, dass mich das Thema doch wieder einholt. Nicht mich privat, sondern mich in meinem Beruf als Beraterin für (Solo-)Selbstständige. Denn der Wegfall des Buchführungsprivilegs, wird aus meiner Sicht immer dringender und würde ein großes Problem vieler Selbstständigen lösen.
Eine Vielzahl meiner Kundinnen und Kunden, also Selbstständige, hat massiv Probleme, fristgerecht ihre Zahlen des Monats- oder Quartalsabschlusses von ihren Steuerberater/innen zu bekommen. Und das, obwohl sie ihrerseits alle erforderlichen Unterlagen pünktlich beim Steuerberater abgegeben haben oder sie über „DATEV Unternehmen Online“ oder ein ähnliches Portal hochgeladen haben. Sie haben Ärger mit dem Finanzamt und erhalten regelmäßig Post, weil die Umsatzsteuer-Voranmeldung – trotz Dauerfristverlängerung – mal wieder nicht pünktlich eingereicht wurde. Das geht dann so weit, dass meine Kund/innen seitens des Finanzamts mit einem Verspätungszuschlag oder einem Säumniszuschlag bestraft werden. Und das alles, obwohl sie eine Steuerberaterkanzlei mit diesen Aufgaben betraut haben.
Zusätzlich häufen sich in diversen Gruppen für Unternehmer/innen, Selbstständige und Existenzgründer in den sozialen Medien die Posts, dass Steuerberater/innen das Mandat niederlegen (ist mir übrigens auch passiert – Umfang meines Dienstleistungsauftrags war nicht lukrativ genug). Viele Selbstständige und Start-ups finden erst gar keine Steuerberater/innen, die sie als Mandant aufnehmen.
Aktuell steht eine Änderung des Steuerberatungsgesetzes an und der Wegfall des Buchführungsprivilegs ist erneut kein Thema. Genau dies wäre aber eine echte Lösung für die zuvor geschilderten Probleme der Selbstständigen.
Was bedeutet das Buchführungsprivileg genau?
Mit dem Buchführungsprivileg sind die Vorbehaltsaufgaben der Steuerberater/innen und verwandte Berufsgruppen (Steuerbevollmächtigte, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer) zur unbeschränkten Hilfeleistung in Steuersachen bezeichnet. Diese sind im Steuerberatungsgesetz in § 3 Nr. 1 geregelt. Darüber hinaus gibt es noch Berufsgruppen, die zur beschränkten Hilfeleistung in Steuersachen zugelassen sind. Dazu gehören z.B. Notare, Speditionen, Landwirtschaftliche Buchstellen oder Lohnsteuerhilfevereine (siehe § 4 Nr. 1-16 Steuerberatungsgesetz). Andere Berufsgruppen unterliegen dem Verbot und dürfen geschäftsmäßig keine Hilfe in Steuersachen leisten.
Es gibt jedoch eine kleine Ausnahme, die in § 6 Nr. 3 und 4 des Steuerberatungsgesetzes geregelt ist. Demnach dürfen weitere Berufsgruppen, also selbstständige Experten auf dem Gebiet des Finanz- und Rechnungswesen (Bilanzbuchhalter/innen, Steuerfachwirte, Buchhalter, Steuerfachgehilfinnen…) laufende Buchhaltungsarbeiten, die laufende Lohnabrechnung sowie eine Lohnsteueranmeldung für ihre Kundinnen und Kunden erledigen. Mehr nicht! Das heißt im Umkehrschluss, dass beispielsweise selbstständige Bilanzbuchhalter/innen keine Umsatzsteuer-Voranmeldung für ihre Kundinnen und Kunden anfertigen dürfen – und das, obwohl es quasi nur ein Mausklick ist. Denn (Bilanz-)Buchhalter sind sehr wohl ermächtigt, laufende Geschäftsvorfälle zu kontieren und zu buchen. Somit werden bereits hier alle Weichen für die USt-Voranmeldung gestellt.
Warum gibt es das Buchführungsprivileg?
Die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen entwickelte sich in Deutschland aus einem zunehmenden Bedarf an Beratung in diesem Rechtsbereich. In der Reichsabgabenordnung von 1936!!! wurde erstmals die Hilfeleistung bei der Erfüllung von Buchführungspflichten genannt (§ 107a). Neben Steuerberatern, Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern waren zur uneingeschränkten geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen auch Personen befugt, denen das Finanzamt eine allgemeine Erlaubnis erteilt hatte, sog. „Helfer in Steuersachen“ (Anmerkung: Diese Möglichkeit besteht schon lange nicht mehr). So alt wie diese Vorschrift ist, ist auch die rechtliche Auseinandersetzung, wozu selbstständige (Bilanz-)Buchhalter berechtigt sind. Bereits 1980 hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil ausgeführt, dass jeder Buchhalter diejenigen Tätigkeiten, die er in einer Berufsausbildung erlernt hat, auch ausüben können muss.
Dabei darf es keinen Unterschied machen, ob er oder sie selbstständig oder im Angestelltenverhältnis tätig ist. Buchhalter erwerben in ihrer Ausbildung, die für die Erstellung der USt-Voranmeldung notwendigen Kenntnisse. Als Angestellte von Unternehmen und Steuerberatern fertigen sie deshalb auch jeden Monat USt-Voranmeldungen und vieles mehr. Bilanzbuchhalter oder Steuerfachwirte haben darüber hinaus ein noch viel tiefer gehendes Fachwissen. Es gibt daher faktisch keinen sachlichen oder fachlichen Grund, das ihren selbstständigen Kolleg/innen nicht ebenfalls zu erlauben.
Wer sind die Nutznießer des Buchführungsprivilegs?
Tja, wer sind die Nutznießer? So vehement wie die Standesvertretung der Steuerberater/innen dieses Privileg hütet, könnte man schon auf den Gedanken kommen, es handele sich hier um die Kronjuwelen des englischen Königshauses. Ich könnte hier jetzt seitenweise Maßnahmen und taktische „Spielchen“ auflisten, die ich seinerzeit als Lobbyistin für die Berufsgruppe der (selbstständigen) Bilanzbuchhalter und Controller erlebt habe. Sehr gut auf den Punkt gebracht hat Markus Kessel, ehemaliger Geschäftsführer des BVBC, in seinem Statement vom 12.02.2021 – hier ein Auszug:
Warum wird die Umsatzsteuervoranmeldung zu solch einem Politikum?
Doch trotz aller vermeintlichen Klarheit über die Schachzüge, geschickt eingefädelten Schutzmechanismen des Gesetzgebers zu Gunsten der Steuerberater*innen und der an den Tag gelegten Theatralik gegenüber der EU-Kommission, bleibt bei mir die Frage nach dem „Warum“. Wie kann der Erhalt der Umsatzsteuervoranmeldung als Vorbehaltsaufgabe zu einem solchen Politikum werden?
Wenn man aber im Hinterkopf hat, dass die Durchschnittskanzlei in Deutschland mehr als ein Viertel ihres Umsatzes im Rechnungswesen erwirtschaftet, ist es verständlich, dass die Lobby der Steuerberater*innen alles zum Erhalt dieses Standards initiieren wird. Solange Finanzministerium und Gerichte die sachlichen Argumente regelmäßig vom Tisch wischen – der eine kratzt dem anderen kein Auge aus – wird das vermutlich auch weiterhin funktionieren.
Ich frage mich aufgrund der eingangs geschilderten Vorkommnisse aber ernsthaft, ob diese Blockkade-Haltung der Standesorganisationen und Vertretungen der Steuerberater tatsächlich noch der Realität entspricht und im Sinne deren (Zwangs-)Mitglieder, also der einzelnen Kanzleien, ist.
Wer sind die „Verlierer“ des Buchführungsprivilegs?
Auf den ersten Blick scheint es so, als ob lediglich die selbstständigen Experten im Finanz- und Rechnungswesen die Verlierer dieser seit Jahren andauernden Auseinandersetzung sind. Denn sie werden in ihrer Berufsausübung durch das Steuerberatungsgesetz massiv beschränkt. Sie dürfen ihren Kunden und Kundinnen nicht die Leistungen anbieten, für die sie ausgebildet wurden und die für sie als Angestellte Teil ihrer täglichen Arbeitspraxis sind. Die dadurch entstehenden Verbote für die selbstständigen Experten im Finanz- und Rechnungswesen sind jedoch weder verhältnismäßig noch sind die allgemeinen Regelungen des Steuerberatungsgesetzes schlüssig aufgebaut.
Wer sich hier intensiver in das Thema einlesen will, dem empfehle ich die Stellungnahme des Bundesverbandes der Bilanzbuchhalter und Controller e.V. (BVBC), die in 2008 zur 8. Änderung des Steuerberatungsgesetzes im laufenden Verfahren eingereicht wurde.
Aus meiner Sicht stehen praktisch Selbstständige aus allen möglichen Branchen auf der Verliererseite. Ja und irgendwie stehen auch die Steuerkanzleien auf der Verliererseite. Denn wie es scheint, hat der Fachkräftemangel auch vor der Berufsgruppe der Steuerberater nicht Halt gemacht:
- Der Vorstand der Steuerberaterkammer Nürnberg Wolfgang Kunert berichtet, dass aktuell die Kapazitäten bei so gut wie allen Kanzleien ausgeschöpft seien. Er selbst muss in seiner Kanzlei Anfragen teilweise ablehnen, damit der alte Mandantenstamm nicht leidet.
- Fast alle Branchen eint die große Herausforderung, gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiter:innen zu finden. Besonders hoch ist der Fachkräftemangel in der Steuerberatungsbranche. Die größte Herausforderung der Steuerbranche: Geringe Attraktivität und schlechtes Image. Nur 18 Prozent der Zielgruppe könnte sich vorstellen, in der Steuerberatung zu arbeiten.
Also warum hält die Standesvertretung der Steuerberater (Bundessteuerberaterkammer/Steuerberaterverbände) so vehement an diesem Buchführungsprivileg fest? Und das, obwohl viele Steuerkanzleien ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Mandanten nicht mehr fristgerecht nachkommen können?
Welche Vorteile hätten Selbstständige durch die Aufhebung des Buchführungsprivilegs?
Es gibt verschiedene Argumente, die für eine Aufhebung des Buchführungsprivilegs der Steuerberater sprechen. Hier sind einige dieser Argumente:
- Wettbewerb und Marktzugang:
Eine Aufhebung des Buchführungsprivilegs würde den Wettbewerb im Bereich der Buchführungsdienstleistungen fördern. Durch die Öffnung des Marktes könnten endlich auch andere qualifizierte Fachleute oder Unternehmen, die nicht zwingend Steuerberater sind, Dienstleistungen anbieten, was zu einer größeren Auswahl für Verbraucher führen könnte. - Kosten und Effizienz:
Die Aufhebung des Buchführungsprivilegs würde zu einer effizienteren Bereitstellung von Buchführungsdienstleistungen führen, indem verschiedene Anbieter mit unterschiedlichen Spezialisierungen und Kostenstrukturen auf den Markt kommen. Dies könnte potenziell zu wettbewerbsfähigeren Preisen für die Verbraucher führen. Und die erforderlichen Meldungen ans Finanzamt würden endlich wieder fristgerecht erfolgen! - Innovation und Technologie:
Eine Öffnung des Marktes würde mit Sicherheit weitere Innovationen fördern, insbesondere im Bereich der Technologie. Technologisch fortschrittliche Buchführungsdienstleister könnten effizientere und kostengünstigere Lösungen anbieten. - Flexibilität für Unternehmen:
Selbstständige hätten mehr Flexibilität bei der Auswahl von Dienstleistern, und zwar auch zu solchen, die besser zu ihren spezifischen Anforderungen passen. Dies würde besonders für kleinere Unternehmen von Vorteil sein, die möglicherweise nicht die umfassenden Dienstleistungen eines Steuerberaters benötigen, andererseits aber Beratungsleistungen benötigen, die die Steuerberater meist nicht erbringen. - Spezialisierung:
Unternehmen könnten sich auf spezifische Aspekte der Buchführung spezialisieren, was zu einer höheren Qualität in diesen speziellen Bereichen führen könnte. Dies würde eine verbesserte Dienstleistungsqualität für Unternehmen bedeuten.
Wer könnte das Problem lösen?
Das ist eine Frage, die eigentlich ganz einfach sein könnte. Eigentlich! Denn die Bundesregierung und die zuständigen Ministerien wurde und wird seit Mitte der 1970er Jahre durch die Vertreter der selbstständigen Spezialisten im Finanz- und Rechnungswesen mit dieser Problematik konfrontiert. Es gab zahlreiche Gespräche, quer durch alle Fraktionen, in Ausschüssen, mit Vertretern anderer Verbände, mit dem Bundeskartellamt, der EU-Kommission und, und, und … Leider alle mehr oder weniger erfolglos. Wie bereits zuvor dargestellt, haben es die Vertreter der Berufsgruppen, die in den Genuss des Buchführungsprivilegs kommen, immer wieder geschafft, ihre „Besitztümer“ zu verteidigen. Gegen jeglichen technischen Wandel, gegen die Digitalisierung, gegen die Tatsache, dass z.B. selbstständige Bilanzbuchhalter aus Österreich sehr wohl weitergehende Dienstleistungen in Deutschland anbieten dürfen, als ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen. Und jetzt, gegen den Fachkräftemangel in den deutschen Steuerkanzleien???
Selbst die Europäische Kommission hat die Unverhältnismäßigkeit der Vorbehaltsaufgaben bemängelt. Aus diesem Grund hat sie in 2018 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eröffnet. Als Reaktion darauf hat das Bundesministerium der Finanzen Mitte Mai 2023 einen Referentenentwurf „zur Neuregelung beschränkter und unentgeltlicher geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der steuerberatenden Berufe“, veröffentlicht, der ohne weitere Änderungen und Aussprachen von der Bundesregierung am 18. August 2023 so beschlossen worden ist. Die geplanten Änderungen sind jedoch nur eine Scheinlösung. Tatsächlich werden alte Besitzstände gewahrt und die eigentlichen Probleme des deutschen Steuerberatungsrechts ignoriert. Die Freiheitsrechte der selbstständigen Expert/innen des Finanz- und Rechnungswesens bleiben erneut und weiterhin auf der Strecke.
Ich hoffe, dass irgendwann bei allen Beteiligten, die diesem unsagbaren Zustand ein Ende bereiten könnten, die Einsicht und die Erleuchtung kommt, die dazu führt, dass das Buchführungsprivileg zumindest teilweise aufgehoben wird. Im Sinne aller Selbstständigen, die sich für ihr Unternehmen einen reibungslosen Ablauf incl. fristgerechter Abgabe von Steuermeldungen und eine qualitativ hochwertige Beratung wünschen.
Vielleicht habt Ihr Lust, mit mir über dieses Thema zu diskutieren? Ich freue mich auf Eure Kommentare!
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